#shortstorydienstag

Kapitel 10-14


Behördengänge (Kapitel 10)

Liebste Omama,

 

kannst du dich noch erinnern, wie oft du mich gefragt hast, wann ich dich endlich zur Urgroßmutter mache? Weißt du noch, was ich dir jedes Mal geantwortet habe?

 

Meine Standardantwort war: „Wenn’s soweit ist.“ Dann habe ich noch gerne „Sobald ich den richtigen Spermaspender gefunden habe.“ oder „Reichen dir deine zwei Urenkerl nicht?“ gesagt. Du warst über jede Antwort gleich entsetzt. Und ich habe mich häufig dafür geschämt. Schließlich bist du alt und hättest es nicht verdient, dass man so mit dir umgeht. Du bist meine Omama, ich habe dich selten mit dem Respekt behandelt. Du warst einfach so selbstverständlich für mich.

 

Doch genau so selbstverständlich war es für mich, in Ruhe gelassen zu werden oder eine grantige Antwort zu geben, wenn ich auf das leidige Thema angesprochen worden bin. Ganz egal von wem. Ich habe bei allen gleich reagiert. Dabei waren es ganz andere Gründe. Gefunden hätte ich mir schon jemanden. Quasi IRGENDJEMANDEN. Ein Kind hätte ich auf jeden Fall alleine großziehen können, daran wäre es nicht gescheitert.

 

Einen großen Anteil hatten Michis Erzählungen. Auf der einen Seite jammern alle, dass die Kinder weniger werden und die alten Menschen mehr, dass unser Pflegesystem in einigen Jahren nicht mehr nachkommen wird, weil zu viel Bedarf bestehen wird. Auf der anderen Seite ist der Staat gegen Kinder.

 

Wenn du Zwillinge bekommst, erhältst du zwar Kinderbeihilfe, aber nicht die vollständige. Du bekommst einmal einhundert Prozent und einmal fünfzig. Fürs zweite Kind erhältst du NUR DIE HÄLFTE! Sprich: Du bekommst für zwei Kinder, die zur gleichen Zeit in der Mutter waren, im selben Moment auf die Welt kommen und parallel an deiner Brust nuckeln, nur eineinhalbfach Geld. WIE LÄCHERLICH IST DAS DENN?

Wenn du nicht verheiratet bist, musst du als Mutter auf umständlichem Weg, mit tausend Unterschriften bestätigen, dass der Vater der Vater ist. Am besten eine Sekunde nach der Entbindung, bitte, damit ja alle Rechte bürokratisch niedergehalten sind. Du hast dann übrigens zwei volle Jahre Zeit, diese Entscheidung rückgängig zu machen. Als Mutter. Als Vater nicht. Nur als unverheiratete Mutter darfst du jederzeit innerhalb der ersten beiden Lebensjahre des gemeinsamen Kindes die Vaterschaft aufheben lassen.

 

WIE LÄCHERLICH IST DAS DENN?

 

Abgesehen davon musst du zwanzig Behördengänge erledigen, sobald das Zwutschgerl da ist. Nicht, dass du die Zeit genießt, nein. Du musst bei Wind und Wetter raus, um dein Kind überall bekannt zu geben. Anmelden. Damit du dann Geld vom Staat dafür bekommst. Muss ich Zwillinge dann nur 1,5-fach anmelden? Also, so halb ausgefüllte Formulare abgeben, weil ich bekomme ja eh keine volle finanzielle Unterstützung vom Staat für das zweite.

 

WIE LÄCHERLICH IST DAS DENN?

 

Da soll man sich als geistesgegenwärtiger Erwachsene lieber zweimal überlegen, ob man sich den Wahnsinn an Bürokratie antut. Vom finanziellen Aspekt spreche ich nicht. Auch nicht davon, wie viel Schlaf man verliert, wie viel Gewicht man gewinnt und verliert, wie einem die Brüste erst platzen und dann wie Schlaffsäcke in Bauchnabelgegend baumeln.

 

 

Wären das allein die Gründe für meine Ablehnung, Omama, wären sie natürlich nichtig. Diesen geringen Zeitraum einer Mutterschaft (abgesehen vom Busen natürlich) vergisst man wahrscheinlich eh ganz geschwind wieder. In meinem Fall gibt es noch einen anderen Aspekt, der allerdings erst sehr viel später dazugekommen ist:

 

 

Ich bin krank, Omama. Ich kann keine Kinder kriegen. Darum bekommst du von mir auch keine Urenkerl. Ich hätte dir das gerne persönlich gesagt, doch dazu haben mir Mut und Kraft gefehlt.

 

 

Ich hab dich ganz viel lieb und warte auf dich. Mit wem soll ich denn sonst für immer Mensch Ärgere Dich Nicht spielen?

 

 

 

Deine Nicole


Arztbesuch (Kapitel 11)

„… wie oft denn noch? Ich bin nicht schwanger!“

 

Stephan verharrte vor der Tür, nachdem er Nicoles Worte vernommen hatte.

 

„Nein, ich bin nicht schwanger!“

 

Ihre Stimme klang zitternd, ganz so, als wäre sie dem Weinen nahe. Sie fühlte sich ganz offensichtlich nicht wohl in ihrer Haut. Andererseits ging es ihn wohl so gar nichts an. Er vermutete, dass sie telefoniert. Doch dann erklang die Stimme eines Mannes. Eine Stephan sehr vertraute Stimme. Ihm stockte tatsächlich der Atem.

 

„Aber du warst beim Gynäkologen?“

 

„Ja, verdammt,“ zischte Nicole, „aber nicht, weil ich schwanger bin. Wie oft willst du’s noch hören, bevor du es mir glaubst? Soll ich vor dir auf ein Staberl pinkeln, willst du das?“

 

„Nein, geh … schau, es ist … es wär‘ halt einfach scheiße.“

 

„Wäre es,“ bestätigte Nicole die harten Worte. „Ist es aber nicht, also …“

 

„Warum warst du dann beim Arzt?“

 

„Kann dir das nicht völlig wurscht sein?“ Stephan ging inzwischen jede Wette ein, dass Nicole Tränen in den Augen hatte. Für einen Moment überlegte er, ob er einfach in das Büro seiner Kollegin treten sollte, um das Gespräch zu beenden.

 

„Brauchst du Hilfe, Nicky? Bist du krank?“

 

Nicky? Stephan musste bei dem Spitznamen beinahe laut auflachen. Er beherrschte sich und trat sicherheitshalber einen Schritt von der Tür weg.

 

„Lass mich bitte einfach in Ruhe, okay?“, jammerte sie. „Kannst du nicht einfach gehen? Ich hab‘ gleich einen Termin mit deinem Chef.“

 

„Da soll ich sowieso dabei sein,“ wurde Nicoles Bitte erwidert. „Protokollschreiben.“

 

„Traut er mir jetzt nicht mehr?“ Stephan musste bei den Worten der Architektin erneut schmunzeln.

 

„Der Kunde verlangt es …“

 

Stephan beschloss, einzuschreiten, bevor die Situation noch eskalierte.

 

 

„Schönen Vormittag,“ grüßte er in das Büro, nachdem er knapp geklopft hatte und eingetreten war. „Klaus, du bist ja schon da! Super, dann fangen wir bitte gleich an, ich hab‘ zum Lunch einen Kundentermin in der City.“


Frühlingsgefühle (Kapitel 12)

Hallo Klemens,

 

ob dich dieser Brief überhaupt erreicht, steht in den Sternen. Du bist ja ein paar Mal umgezogen, wie ich gehört habe. Hoffentlich hast du endlich einen Platz gefunden, an dem du bleiben möchtest. Der sesshafte Typ bist du ja eh nie gewesen und ich traue mich wetten, dass du es auch nie wirklich werden wirst. Die Welt war dir nie genug …

 

Ich habe erst so viel später verstanden, warum du getan hast, was du tun musstest. Und ich war jahrelang blind, weil ich dich so geliebt habe. Du warst meine erste große Liebe. Aber gut, ich war ja auch die deine.

 

Kannst du dich noch erinnern, was wir gesagt haben, wenn einer gefragt hat, wie lang wir schon zusammen sind? SEIT DEM KINDERGARTEN. Und wir haben gelacht und alle haben uns komisch angeschaut. Aber es war uns egal. Es war unsere Wirklichkeit. Bis du sie verändert hast.

 

Ich verzeihe dir, was du dir und deinem Körper angetan hast. Das Gift, das du dir durch deine Adern gejagt hast. Oder immer noch tust, was weiß denn ich. Ich werde dir aber niemals vergeben, dass du mich da mit hinein gezogen hast. Das war egoistisch von dir.

 

Komm mir jetzt bloß nicht damit, dass wir zusammen Spaß gehabt haben. Den haben wir gehabt. All der Sex. All die Gespräche im luftleeren Raum. Irgendwo zwischen hier und jetzt. Der Moment, als wir zu verstehen geglaubt haben, warum Nirvana als Bandname gedient haben könnte. Weil wir dort waren. Im Nirvana. Im Jenseits, zumindest mit einem Fuß. Den anderen haben wir ganz brav im Diesseits gehalten. Zumindest haben wir das geglaubt. Wir waren so cool. So drauf. So … losgelöst. Weltfremd und doch haben wir sie von Grund auf verstanden.

 

Dass du mir deine atom bombs nicht angetan hast. Mir hat es schon gereicht, wenn ich dein Besteck säubern durfte, weil du völlig weg warst.

 

Bis heute weiß ich nicht, wie ich mein Studium abgeschlossen habe. Ich nehme an, dass Talent und eine Überdosis Glück mitgespielt haben. Oder der Bauchfleck in die echte Realität, nachdem du mir in meinen Armen fast weggestorben wärst. Scheiß China White! Was hilft es, wenn es rein ist, wenn du dir dann zu viel davon fixt?

 

Das zu schreiben macht mich traurig. Eigentlich wollte ich dir sagen, welche Schmetterlinge deine Küsse in mir ausgelöst haben. Wohin sie geflogen sind, wenn du mich gestreichelt hast. Wie sie aus mir herausgeflattert sind, wenn wir uns nahe waren. Wenn ich deine Stimme in mein Ohr flüstern gehört habe. Wenn du mir durchs Haar gefahren bist …

 

All die schönen Erinnerungen hast du kaputtgespritzt und es gar nicht wirklich bemerkt. Wie denn auch? Es hat drei Tage gedauert, bis du überhaupt begriffen hast, dass ich weg war. Dafür hat es mich Zeit gekostet, über dich hinweg zu kommen. Ich wollte so oft zu dir zurückkehren. Ich war so oft so kurz davor. Ich bin so oft vor deiner Tür gestanden.

 

 

„Ich hoffe, es ist dir gut ergangen“ – sing es noch einmal mit mir!

 

 

In Liebe

 

 

Nicole


Ostereier-Suche (Kapitel 13)

Obwohl er sich bereits mehrfach geräuspert hatte, machte Anja keinerlei Anstalten, sich zu bewegen. Wie festgefroren saß sie auf dem Barhocker in seiner Küche und las die Zeitung. Seine Zeitung. Auf seinem Stuhl. An seinem Tisch. In seiner Küche.

 

Sie hatte ihm zwei köstliche Eier im Glas serviert, nachdem sie pikiert festgestellt hatte, dass er keine hart gekochten, geschweige denn gefärbte für das Osterfest zu Hause hatte. Üblicherweise verbrachte Stephan die Feiertage ja bei seiner Familie in Korneuburg. Doch die Kinder waren allesamt verkühlt, weswegen er es vorgezogen hatte, sie in diesem Jahr erst ein Wochenende später zu besuchen. Er hatte einem verlängerten Wochenende entgegengeblickt. Drei entspannten Tagen auf der Couch, mit seinem Fernseher, dem einen oder anderen Porno und der Gesellschaft seiner Hand. Es hätte so schön sein können.

 

Warum er Nicoles Vorschlag zugestimmt hatte, am Karfreitag auf ein Afterwork-Bier mitzukommen, wusste er selbst nicht mehr. Eigentlich hätte er ablehnen müssen, nachdem er gehört hatte, wer noch alles mit an Bord war. Anja. Ausgerechnet. Sie hatten zwar zu Fasching Spaß gehabt, doch so richtig konnte er sich nicht mehr daran erinnern. Bloß, dass sie auf anal stand, wusste er noch. Anal-Anja.

 

Das hatte sie ihm auch an diesem Wochenende mehrfach bewiesen. Außergewöhnliche Stellungen waren für sie ebenso normal, wie hintenrum. Dabei war sie optisch das absolute Gegenteil ihrer Vorlieben: grauer Rock, hochgeschlossene Bluse, Oma-Strickjacke Strumpfhose, Pumps. Ganz zu schweigen von dem altfadrischen Dutt.

Niemals hätte Stephan vermutet, welche Mähne sich darin versteckt hielt. Anjas Haar reichte ihr beinahe dorthin, wo sie es sich so gerne besorgen ließ. Und sie mochte es, wenn er daran zog, während er sie von hinten nahm. Das fand er durchaus geil.

 

„Wollen wir wieder Eiersuchen spielen?“, hatte sie ihm nach dem vierten oder fünften Bier ins Ohr geraunt.

 

Stephan hatte die Unmengen an Tequila-Shots gesehen, die sie sich mit Nicole hineingezogen hatte. Klaus hatte kaum etwas getrunken und angeboten, Nicole nach Hause zu fahren. Ganz bestimmt hatte er das gemacht und es anschließend der Architektin.

 

„Was grinst so?“, kicherte Anja über ihre Schulter, während sie ihre Haare mit einer Hand packte und einzudrehen begann. „War der Klogang so erleichternd?“

 

Der Bademantel war ihr über die Schultern gerutscht und gab ihren halben Rücken frei. Wenn er daran dachte, wie wohlgeformt ihr Hintern doch war (was man aufgrund der prüden Röcke kaum erkennen konnte), musste er gleich noch breiter grinsen.

 

„Hast du die Eier eigentlich jemals gefunden?“, fragte er sie, als er sich aus dem Türstock löste und in die Küche zurücktrat


Dachboden (Kapitel 14)

Meine liebe kleine, beste Müchi auf der ganzen weiten Welt,

 

oder soll ich Milchi sagen? Ich kann mich echt so gut daran erinnern, wie sehr du diesen Spitznamen als Kind gehasst hast. Ja, du warst eben ein kränkliches, blasses Wesen. Und ich habe es nicht böse gemeint. Keiner von uns! Gut, der Lorenz war sowieso noch nicht da, aber der Paul, der hat das auch so gerne gesagt. Und du hast ihn dann immer Popo-Pol genannt. Seine Augen sind einfach nur noch größer geworden, wenn du ihn geschimpft hast. Er war, glaube ich, der einzige, der wirklich ECHT Angst vor dir hatte. (Zumindest, bist du dann mit Ninjutsu begonnen hast, Shiroi Shinobi.)

 

Dafür hat er es dir ganz schön heimgezahlt. Es war der beste und fieseste Scherz, den man jemandem spielen kann. Paul hat ewig dafür gearbeitet. Ich meine, wie alt wart ihr beiden zu der Zeit? Neun oder zehn?

 

Er hat mich sogar um ein Taschengelddarlehen gebeten. („Ich geb‘ dir das später zurück, Nicky! Versprochen! Aber ich muss was für Milchi kaufen.“) Wie gut, dass ihr eine ältere Schwester hattet, die euch von vorn bis hinten beschenkt und unterstützt habt, nicht wahr? Ohne mich wärt ihr ja sowas von aufgeschmissen gewesen. Daddy war nur am Arbeiten und Mama hat gerade ein Baby zu versorgen gehabt. Es war ganz bestimmt nicht leicht.

 

Aber auf Nicky war eben Verlass, gell?

 

Ich hab euch ja gern geholfen. Immer wieder. Egal, was ihr euch einfallen habt lassen. Die Murmelbahn, zum Beispiel … Aber nichts ging über Pauls Streich. Das war das Grandioseste überhaupt.

 

„Milchi, machen wir eine Gruselnacht am Dachboden?“ So simpel hat es begonnen, und du warst sofort dabei. Du hast schließlich auch eine Vampirkindergeschichte nach der anderen verschlungen (Rüdiger, heiß der eine, richtig?). Dass dich tatsächlich eine Gruselnacht erwartet, hast du nicht wissen können. Überall hat Paul Kleinigkeiten versteckt. Ein bisschen Slimy hier, ein paar Knallerbsen da. Das Beste war aber das Skelettgespenst an der Seilwinde. Ich weiß bis heute nicht, wie er das allein geschafft hat. Ich vermute ja immer noch, dass ihm jemand dabei geholfen hat. Allerdings war ich das nicht. Das hast du dir nur eingeredet, weil du so böse auf uns gewesen bist. Dabei habe ich nur finanziell unterstützt.

 

 

Die hundert Schilling habe ich nie mehr zurückbekommen, übrigens.

 

 

Eigentlich wollte ich dir schreiben, was für eine tolle kleine Schwester du für mich gewesen bist. Was für eine liebevolle Mutter du geworden bist. Wie sehr ich es vermisse, dich aufwachsen zu sehen, weil du jetzt erwachsen bist. Und wie sehr ich meine Nichten bei diesem Schritt begleiten würde …

 

 

In ewiger Liebe

 

 

Deine Nini


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