#shortstorydienstag

Kapitel 15-19


Waldluft (Kapitel 15)

 Anja räkelte sich auf der rotkarierten Decke. Der Picknickkorb stand geöffnet neben einem Ameisenhügel, den keiner beachtete. Weder den Korb, noch den Hügel und schon gar nicht die Ameisen, die bereits eine Straße zu den Delikatessen gebildet hatten. Käse, Obst, Wein. Das volle Programm. Stephan hatte sich um absolut nichts kümmern müssen, Anja hatte alles für ihren kleinen Wochenendtrip organisiert.

 

Von den beiden Flaschen Merlot war nur noch eine übrig. Stephan hatte bislang kaum etwas getrunken, dafür Anja umso mehr. Sie hatte sich bereits die Hälfte ihrer Klamotten vom Leib geschält. Ihr flatterndes Kleid war schon so weit aufgeknöpft, dass man ihren BH gar nicht mehr darunter erahnen musste. Das Höschen war farblich auf den Busenhalter abgestimmt und ebenfalls mit Spitzen versehen. Ein hübsches Set, das bestimmt nicht günstig gewesen war. Palmers oder Triumph, wahrscheinlich.

 

Immer wieder ließ sie ein genüssliches „hmm“ vernehmen, mit welchem sie Stephans Aufmerksamkeit auf sich zu lenken versuchte. Ihre Hände vergruben sich in ihrem Haar, ab und an glitt ein Finger über die Erhebung ihrer Brust. Dazwischen trank sie einen weiteren Schluck des Rotweins.

 

Stephan hingegen hatte völlig vergessen, dass Anja ihn zu einem romantischen Picknick entführt hatte. Seit nunmehr dreißig Minuten telefonierte er mit seinem Kunden, der momentan in Amerika residierte und lediglich am Wochenende Zeit fand, mit Österreich zu telefonieren. Zumindest hatte Stephan es Anja so verkauft, als er mit den Augen rollend abgehoben hatte.

 

Hätte er das Gespräch nicht entgegengenommen, wäre die Welt nicht untergegangen oder sein Auftrag verloren gewesen. Doch er hatte keine Lust auf eine Konversation mit Anja gehabt. Die Frau war langweilig. Sie interessierte sich für kaum etwas anderes, als die personelle Entwicklung in der Firma, sowie Klatsch und Tratsch. Ob es dabei um einen Mitarbeiter, der eine Kollegin geschwängert hat, oder die Royals ging, war Anja dabei egal. Für sie zählte wohl, sich darüber auszulassen, wie verquer das Leben von anderen Menschen war.

 

Stephan war das egal. Warum sollte er sich darüber auch großartige Gedanken machen? Selbst die Affäre von Nicole und Klaus (von der Anja jedoch keine Ahnung zu haben schien) ließ ihn kalt. Mehr oder weniger. Die gemeinsamen Meetings waren ein bisschen anstrengender geworden; nachdem aber jeder seinen Job verrichtete, überging er es.

 

Der einzige Grund, weswegen er Anja ertrug, war die nette Abwechslung, regelmäßig Sex zu haben. Just in diesem Moment fiel ihm ein, dass da noch etwas gewesen war, außer dem nervtötendem Gezwitscher der Vögel und den piksenden Grashalmen. Sex im Freien!

 

Er beendete das Gespräch so schnell es ihm möglich war und grinste zur Decke hinüber. Mit den Fingern winkte sie ihm entgegen. Die leere Weinflasche entging ihm dabei keineswegs. Vielleicht würden Ausflüge in den Wald in Zukunft doch zu einer Gewohnheit werden.


Shop-Hopper (Kapitel 16)

 Es war ja nicht so, dass Nicole es benötigte, doch an einem Laden mit funkelndem Kitsch-Glitzer vorbeizugehen, ohne zumindest einen längeren Blick darauf zu werfen, war für sie schier unmöglich. Weder war sie konkret auf der Suche, noch hatte sie tatsächlichen Bedarf, sich etwas zu gönnen. Dennoch liebte sie alles, was over the top war. Überdrüber. Bunt, quietschig, kreischend. Das Leben war schließlich düster genug, da konnte man sich doch das eine oder andere Quantum Kitsch erlauben.

 

Nun, in Nicoles Fall war es vielleicht etwas mehr, als ein bisschen. Hello Kitty hätte in ihrer Wohnung wahrscheinlich Karies bekommen, so süß war alles eingerichtet. Mit einer Vorliebe zu rosafarbenen Dekoartikeln hatte Nicole ihren Wohnraum entsprechend gestaltet. Plüschige Fellkissen zierten die zartpinke Couch, glitzernde Tapeten ließen die Wände erstrahlen, Flamingos verschönerten die Zimmerpflanzentöpfe.

 

Nicole verbrachte ohnehin nur die Wochenenden hier, unter der Woche arbeitete sie bis spät abends oder vertrieb sich die Zeit in einer Bar. Neuerdings auch in einem Hotelzimmer mit Klaus. Sie wollte nicht allein daheim sein. Das lag jedoch nicht daran, wie grotesk ihre Wohnung dekoriert war. Viel mehr lag es an der Tatsache, dass sie sich nicht der kalten Wahrheit stellen wollte. Einer Wahrheit, der sie mit keinem Glitzer der Welt dagegenwirken konnte. Solange es sich also vermeiden ließ, wollte sie unter keinen Umständen darüber nachdenken, was auf sie zukam. Nicht sofort, nicht in drei Monaten, sofern sich die Gegebenheiten rapide änderten. Doch in absehbarer Zeit. Und das war zu schnell.

 

Ihr wurde bei dem Gedanken schwindelig, sie konnte sich einfach nicht damit auseinandersetzen. Darum verbrachte sie den Samstagvormittag erneut damit, durch die Mariahilfer-Straße zu bummeln und sich inspirieren zu lassen. Vorhin hatte sie ein riesiges Plüscheinhorn entdeckt, das sie auf der Stelle adoptieren musste. Einen Namen hatte sie noch nicht dafür, doch sie war sich sicher, dass irgendjemandem einer einfallen würde. Sie hatte nämlich vor, ihre neueste Errungenschaft in ihrem Büro zu platzieren.

 

Das Büro war ohnehin so kahl und grau. Nicole benötigte Farben, um kreativ zu sein und entsprechend gut arbeiten zu können. Klaus hatte das einmal bekrittelt und sie hatte die Blicke mehrerer Kollegen auf ihr buntes Sammelsurium auf ihrem Schreibtisch gesehen. So etwas ließ sie innerlich lächeln.

 

Auch der Anblick, welcher sich ihr ein paar Meter weiter bot: Anja stöckelte gerade aus einem Dessousgeschäft. Hinter ihr trat Stephan mit einer überraschend großen Einkaufstasche aus dem Laden. Hatte es die Kollegin aus der HR doch tatsächlich geschafft, den größten Idioten der Firma nicht nur um den Finger zu wickeln, sondern auch gleich an sich zu binden.

 

Anerkennend verzog Nicole die Lippen. Vielleicht sollte sie ein kleines Geschenk für Anja besorgen. Eines, das nur sie beide verstanden. Pinke Glitzer-Kondome vielleicht …


Mutprobe (Kapitel 17)

Der Tisch bog sich unter den Köstlichkeiten. Herrlich duftender Schweinsbraten mit Kraut türmte sich neben einem kunstvoll aufgestapelten Haufen gefüllter Knödel. Kartoffelpuffer mit Speck und Eierspeise luden das Wasser im Mund dazu ein, zusammenzulaufen.

 

Stephans Mund jedoch war staubtrocken. Dies lag weniger an seinem nicht vorhandenen schlechten Gewissen, einen Todesatem zu entwickeln, nachdem er die Knoblauchsuppe verschlungen hatte, sondern an der Tatsache, mit wem er bei Tisch saß.

Anja hatte ihm von diesem „entzückenden, altfadrischen Lokal“ beim Landesgericht vorgeschwärmt. Sofort hatte er sich nicht begeistern können, mit einer Arbeitskollegin mitten in der Stadt zu Abend zu essen. Als sie ihm dann eine Fotoauswahl der Speisen auf der Homepage des Restaurants gezeigt hatte, und er einen Blick auf die Speisekarte erhaschen konnte, war seine Entscheidung zu Anjas Gunsten ausgefallen.

 

Besonders hatte es ihm die Perle der böhmischen Kochkunst angetan: Svičkova. Ein Rindsbraten in Gemüserahmsauce, angerichtet mit böhmischen Knödeln und Preiselbeeren. Das Gericht hatte ihn an seine Kindheit erinnert. Seine Omi hatte diese Köstlichkeit zu Opis Geburtstagen gezaubert. Nachdem er verstorben war, hatte sie die Tradition an seinem Todestag aufleben lassen wollen, doch Stephans Mutter war dagegen gewesen. Somit war er schon viel zu lange nicht mehr in diesen Genuss gekommen.

 

„Wenigstens schmeckt’s ihm!“ Marek klopfte ungeniert auf Stephans Bauch. „Der Tatínek weiß halt, was den Männern schmeckt, hm?“

 

„Das ist der Papa,“ übersetzte Anja die tschechische Koseform ungefragt, ehe sie einen tiefen Schluck Sauvignon Blanc nahm.

 

Stephan starrte lediglich auf den Holztisch, der seine Aufmerksamkeit unter normalen Umständen aus ganz anderen Grünen auf sich gezogen hätte. An diesem Abend übersah Stephan die interessanten Details. Anstelle einer Holzplatte hatte die Familie Pospischil alte Münzen und Banknoten unter einer Glasplatte ausgestellt. Einige der Memorabilia mussten aus der Kaiserzeit stammen. Kronen, ganz eindeutig. Sowohl österreichische, als auch tschechische.

 

„Geh‘, Marek, kannst uns net in Ruhe essen lassen,“ raunzte Anja ihren älteren Bruder an, der eigentlich hinter der Bar stand und abkassierte. Da die Schank gerade nicht gefragt war, hatte sich der Ober auf einen Plausch zu ihnen gesetzt.

 

Die Versuchung, einfach aufzustehen und zu gehen, war groß. Auch einfach nur vor die Tür zu treten, um eine zu rauchen, hätte bestimmt Wunder bewirkt. Stattdessen aber saß Stephan auf der mit einem hellen Stoff überzogenen Holzbank im Lokal von Anjas Eltern und musste die abartiges Form von „meet the parents“ über sich ergehen lassen.

 

Darum hatte er nicht gebeten. Das hatte er nicht vereinbart. Und schon gar nicht waren Anja und er ein Paar. Davon waren sie so weit entfernt, wie Nicole von einem Gruftidasein.

 

 

Andererseits war die Mahlzeit hervorragend. Marek hatte zudem anklingen lassen, dass der Schmaus auf’s Haus ging, weswegen eigentlich nichts dagegensprach, es sich gutgehen zu lassen. Mit Anja konnte er auf dem Heimweg immer noch ein ernstes Wort reden. Oder lieber am nächsten Morgen. Schließlich wollte er sich die Nacht mit ihr nicht nehmen lassen.


Garten-Oase (Kapitel 18)

„… vor allem an dieser Stelle wurde das Element des … Dschungel… Dschungelfeelings hervorgehoben.“ Klaus deutete auf die hohen, roten Stämme. Um welche Art von Palme es sich dabei handelte, wusste keiner von ihnen. Dennoch hatte Klaus gerade im richtigen Moment gebremst und zu einer absurden Erklärung ausgeholt.

 

„Gefühlsecht?“, hauchte Nicole Klaus rasch zu.

 

Ein älterer Gast bahnte sich seinen Weg durch das Grünzeug. Eigentlich hatten sie gehofft, ein paar Augenblicke allein miteinander verbringen zu können. Doch dies schien auf dieser Feier unmöglich zu sein.

 

„Bananen,“ nickte der Mann im Vorbeigehen. „Die sind winterhart.“

 

„Dann trifft es sich ja, dass sie auf der Dachterrasse gepflanzt wurden,“ murmelte Nicole.

 

„In der Tat.“ Nun blieb der Kerl auch noch stehen. „Ist Ihnen aufgefallen, wie perfekt sich die Bananen hier einfügen?“

 

„Nein?“, antwortete Klaus, wofür er einen Klaps von Nicole erhielt. Was dachte sich der Idiot denn dabei? Erkannte er nicht, dass dem Gast etwas an den Pflanzen lag? Bestimmt würde er nun …

 

„Wenn Sie hier schauen-“ Er wies mit einer Hand zu den ausladenden Blättern zu seiner Rechten. „-hier direkt neben dem Elefantenohr, sehen Sie den herrlichen Chinese Wonder.“

 

„Klingt wie eine Hanfart,“ murmelte Klaus.

 

„Nicht ganz,“ meinte ihr Gegenüber, wobei er ungeduldig klang. „Hanf zählt zwar zu den Nutzpflanzen, ist tatsächlich aber den Rosales zugehörig. Bambus hingegen ist ein Süßgras.“

 

„Darum der Geruch,“ platzte Nicole hervor. Sofort schlug sie sich eine Hand vor den Mund.

 

„Das liegt an den Terpenen,“ erklärte der Mann ungefragt weiter. „Diese sind bekanntermaßen auch beim Eukalyptus stark ausgeprägt.“

 

„Konrad?“ Der Gastgeber, Stephans wichtigster Klient, blickte aus einer Abzweigung in ihre Richtung. Etwa die Hälfte der ausladenden Dachterrasse war mit diesem botanischen Garten bedeckt. Natursteinplatten führten als wackelige Wege durch das Paradies hoch über den Dächern Wiens. Der Stephansdom schien von hier aus zum Greifen nahe zu sein.

 

„Sind Sie für die Pflanzen zuständig?“, fragte der Mann den Milliardär und deutete auf den gedrehten Stamm in Constantins Nähe.

 

„Nein, Konrad, das bin ich nicht.“ Entschuldigend wandte er sich an Nicole und Klaus. „Mein Schwiegervater war Gärtner. Er leidet an Demenz und sollte zu dieser Uhrzeit eigentlich in seinem Zimmer sein.“ Constantin lächelte den Mann an. „Konrad, ich kann Ihnen den richtigen Weg zeigen, wenn Sie sich nicht zurechtfinden.“

 

 

„Das wäre sehr nett von Ihnen,“ nickte Konrad sofort. „Haben Sie noch einen schönen Abend.“ Im Gehen winkte er Nicole und Klaus zu. „Sie sind ein hübsches Paar.“


Tiergeschichten (Kapitel 19)

Seit sie im Wartebereich der nächtlichen Notaufnahme saßen, hielt Anja seine Hand. Weder hatte er sie ihr entzogen, noch das Bedürfnis, dies zu tun. Ihre Nähe tat überraschend gut. Vielleicht, weil er auf der Kippe stand. Sein Leben war zu Ende, das wusste er.

 

Den ersten Verdacht hatte er gehegt, als vor wenigen Tagen der Durchfall eingesetzt hatte. Danach waren die Kopfschmerzen gekommen. Diese hatten ihn zum Erbrechen gebracht. Und schließlich hatte sein Bauch seltsam rumort. Nun gut, seltsam war möglicherweise eine Untertreibung. Er hatte das Gefühl, sein Darm würde ihm über den Nabel entrissen werden. Bestimmt fühlten sich Wehen weniger schlimm an, als der Schmerz, durch welchen er gehen musste.

 

Er hatte keinen Hunger. Er hatte abgenommen. Sein Gesäß juckte an Stellen, die zu erreichen in der Öffentlichkeit als unschicklich angesehen wurde. Lieber besorgte er es Anja genau dort, wo es ihn im Augenblick marterte. Bestimmt ging es ihm von all den Patienten in dem mit gedämpften Licht beleuchteten Gang des Spitals am allerschlechtesten. Sogar Anja hatte das auf ihrer Fahrt mit dem Taxi behauptet.

 

„Du bist der ärmste Schnuckipu,“ hatte sie ihm mehrfach bestätigt. Dabei hatte er den Kosenamen ignoriert. Offenbar musste sie ihn so nennen – was blieb ihm also anderes übrig?

 

 

Die Anzeigetafel blinkte mehrmals in roten Lettern: Mag. Stephan Kuchar, Zimmer 3.

 

 

Unter lautem Ächzen und von einem neuen Bauchkrampf geschüttelt, erhob sich Stephan mit Anjas Hilfe aus dem unbequemen Plastikstuhl, um langsam zu genanntem Ordinationsraum aufzubrechen.

 

Er hoffte, dass die Tortur endlich ein Ende nahm. In der Erstversorgung hatten sie ihn nach seinen Symptomen gefragt und Blut abgenommen. Eine Diagnose war jedoch noch nicht gestellt worden.

 

„Soll ich draußen warten?“, fragte Anja, wobei sie nicht so klang, als wäre sie bereit dazu gewesen, ihn auch nur für eine Sekunde aus den Augen zu lassen. An Stelle einer Antwort, klammerte er sich fester an ihren stützenden Arm und Anja verstand. Wenn ihm gleich die schlimmste Diagnose offenbart wurde, benötigte er jemanden an seiner Seite. Dabei war es egal, ob es Anja oder irgendwer sonst war. Er wollte nicht allein einem Arzt gegenüber sitzen, der ihm sagte, dass er an einem unheilbaren Darmkrebs im Endstadion litt.

 

„Herr Magister.“ Der Arzt verwies auf den einen Stuhl vor seinem Tisch. „Bitte, nehmen Sie Platz.“

 

„Wird er sterben?“, hauchte Anja dramatisch, während sie Stephan auf den Sessel verhalf.

 

 

„Davon gehen wir im Moment nicht aus,“ erwiderte der Doktor. „Wir werden den Bandwurm zuerst einmal mit Anthelmintika bekämpfen.“


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