Lukes Ode


Meine liebste Leserschaft!

 

Du bist es, die mich in meine finsteren Gedanken begleitet,

die in meiner Dunkelheit bei mir ist.

Du bist es, die meine schmerzerfüllten Tränen sieht,

die mich in meiner Traurigkeit umarmt.

Du bist es, die mit mir meine bittersüßen Geheimnisse teilt,

die mich ohne Urteil beobachtet.

Du bist es, die mit mir meine kleine Welt erkundet,

die jeden meiner Schritte mitverfolgt.

Du bist es, die mich meinen steinigen Weg gehen lässt,

die mir stumm den Rücken stärkt.

Du bist es, die an meinem aufregenden Leben teilhat,

die mit mir bis ans Ende geht.

Du bist es, die mich zu dem macht,

der ich heute bin.

 

In Liebe und Dankbarkeit,

 

Luke


#datemyprota


Worauf er sich da eingelassen hatte, wurde ihm erst allmählich bewusst, nachdem er das quietschende Gartentor hinter sich geschlossen hatte. Mit in die Jackentaschen geschobenen Händen tapste Luke über den mit Steinplatten ausgelegten Weg. Ein wie ein Lachen klingendes Wiehern (oder war es doch nur ein wieherndes Lachen) ließ ihn seinen Kopf in die Richtung des freudigen Aufschreis drehen. Bildete er es sich ein oder hatte er gerade …

 

Unmöglich! Er holte tief Luft, stolperte über einen hervorstehenden Stein, fing sich jedoch gerade noch rechtzeitig ab und trat im nächsten Moment gegen die Eingangstür. War diese gerade erst aufgetaucht oder hatte er sie übersehen?

Sein rechter Mittelfinger tastete hektisch nach dem Feuerzeug in der Tasche. Er hatte es vorhin nicht in die volle Schachtel Zigaretten stecken können, weswegen es nun lose herumgeschaukelt war. Als er es zu fassen bekommen hatte, hielt er es fest mit seiner Hand umschlossen. Wenn das Feuerzeug real war, konnten es die schlittschuhlaufenden Einhörner im hinteren Teil des Gartens unmöglich sein. Zwar hatte es frostige Temperaturen und das Wasser des kleinen Teichs war bestimmt gefroren, doch, ob es einem halben Dutzend Einhörnern Stand halten konnte, glaubte Luke nicht.

 

Wie schwer war ein Einhorn überhaupt?

 

„Guten Abend, Luke!“, erhob sich eine freundliche Stimme in Lukes Gedanken.

 

„Hi!“, stammelte er, als er das runde Gesicht unter der schwarzen Baskenmütze wahrnahm und sich gewahr wurde, wo er war. Weswegen er hier war. „Hi, Smiley!“

 

„Komm doch rein,“ bot ihm Smiley mit einer einladenden Geste an und machte den Eingang frei.

Ein Schild mit der reich geschmückten, verschnörkelten Aufschrift

 

Einhornverleih

 

war daran angebracht worden. Glitzer, Spitze und Strasssteine zierten das bunte Stück Holz.

 

„Danke,“ nuschelte Luke und kam der Handbewegung gerne nach.

 

Nun, da ihn die Wärme erreichte, fiel ihm auf, wie kalt es im Freien war. Rasch putzte er sich die Schuhe ab, bevor er eintrat. Erstaunt stellte er fest, dass der Raum wesentlich größer war, als es von der Straße den Anschein gehabt hatte. Hohe Regale mit seltsamen Rollen befanden sich hier. Die Einrichtung wirkte alt und mitgenommen, jedoch umso gemütlicher, sich einfach darauf niederzulassen. Künstlerisch, als legte man mehr Wert darauf, sich zu entfalten, anstatt alles in penibler Ordnung zu halten. Luke fühlte sich auf Anhieb wohl.

 

„Darf ich dir ein Eis anbieten?“, fragte Smiley sanft lächelnd.

 

Die Tür war inzwischen geschlossen und Smiley hatte sich zu der Eismaschine in einer Ecke des Raums bewegt. Von dort aus sah Lukes Date ebendiesen erwartungsvoll an.

 

„Um es zu brechen?“ Luke kam nicht umhin, sich ein Schmunzeln zu verkneifen. „Was hast du denn für Sorten?“

 

„Vanille,“ kam die schlichte Antwort postwendend. „Was Dunkleres gab es nicht.“

 

„Selbst beim Eis hat der Whitewash also nicht Halt gemacht,“ seufzte Luke, während er seine Tasche von der Schulter zu Boden gleiten ließ.

 

Interessiert betrachtete er die Plakate an den Wänden, die nicht mit Regalen verstellt worden waren. Auf einem sah man zwei Einhörner hüfchenhaltend einen Sonnenuntergang betrachten.

 

Ki West

 

stand in ähnlich glitzerverzierten Buchstaben wie auf dem Eingangsschild darunter. Luke biss sich auf die Unterlippe, um die Bemerkungen über die Schreibweise und das Foto zu schlucken. Abgesehen davon, dass man Key West wie den Schlüssel schrieb, befand sich im Westen des Ortes eine Insel, die einem den Blick auf den perfekten Sonnenuntergang am Horizont verwehrte. Außer, man befand sich auf besagtem Sunset Key. Doch dann war die Bezeichnung Key West ebenso falsch, wie der Rest des Bildes.

 

„Weit gereist.“ Smiley stand plötzlich neben Luke und hielt ihm eine Tüte mit Vanilleeis entgegen. „Warst du schon einmal dort?“

 

„In Ki West noch nie,“ verneinte Luke die Frage, während er nach dem Eis langte. „Danke.“

 

„Niemand war jemals in Ki West,“ meinte Smiley ernst. „Nur unsere Einhörner.“

 

„Beneidenswert.“ Das aufkeimende Lachen schleckte Luke rasch mit einer großen Portion Vanillesofteins hinunter.

 

Smiley schenkte ihm daraufhin ein nicht zu deutendes Lächeln, ehe er zu dem großen Bildschirm in der anderen Ecke des Raums verwies. Als wäre ihm jedoch genau in diesem Moment etwas Wichtiges eingefallen, bewegte sich Smiley in die entgegengesetzte Richtung. Luke meinte, ihn „Kaffee“ murmeln zu hören.

 

„Schwarz!“, rief er Smiley nach und wandte sich dem nächsten Bild zu.

 

„Wie sonst,“ drang Smileys Stimme aus den Untiefen des Raum. „Obwohl sie den auch noch weiß machen könnten.“

 

Luke ersparte sich eine Antwort darauf. Ihm war aufgefallen, dass er seine Jacke noch trug. Mit dem Eis in der einen Hand, zog er mit der rechten den Reißverschluss auf und kämpfte sich anschließend aus dem Ärmel. Als er es fertiggebracht hatte, sich auszuziehen und dabei weder sich, noch den Boden mit Eis bekleckert hatte, warf er das Oberteil auf den ihm nächsten Arbeitstisch. Er vermeinte eine Wolke aus Glitzer aufsteigen zu sehen, als der Stoff aufschlug.

 

„Feenstaub,“ gluckste er verstohlen in sich hinein und schulterte seine Tasche.

 

Times Quer

 

Fünf Einhörner grinsten in die Kamera. Hinter ihnen sah man die bekannten Billboards und Leuchtreklametafeln des Big Apples.

 

„Brauchst du ein Taschentuch?“ Smiley war wieder bei ihm und sah ihn mitleidig an.

 

Kopfschüttelnd winkte Luke ab. „Sorry, aber … not sorry!“

 

„Not sorry,“ sagte Smiley im selben Moment und Luke hielt überrascht die Luft an.

 

Für einen Herzschlag trafen sich ihre Blicke. Die Zeit schien still zu stehen, keiner der beiden atmete. Eine Spannung füllte die Luft, die ihnen beiden klarzumachen schien, dass es gar kein Eis gebraucht hatte, um eben dieses zu brechen. Sie verstanden einander. Ihre Gedankengänge waren auf einer Wellenlänge.

 

Dann war es Luke, der sich nach einem knappen Blinzeln nicht länger zurückhalten ließ. Er öffnete seine Lippen und brach in schallendes Gelächter aus. Diesmal konnte er das Eis nicht retten. Mit einem ungehörten, nahezu traurigen Schmatzen traf es auf den grauen Industrieteppich, bevor es sich verflüssigte.

 

„Sorry,“ wiederholte Luke um einige Nuancen ernster.

 

„Not sorry,“ prustete Smiley, bevor er Luke das eben verschmähte Taschentuch erneut unter die Nase hielt.

 

Wortlos bückte sich Luke und säuberte den pflegeleichten Teppich. Das nach Vanille riechende Taschentuch und die ziemlich weiche Waffel warf er in den nächsten Mülleimer. Als er sich nach Smiley umsah, erblickte er diesen bei dem Bildschirm und der stoffbezogenen Couch. Da erinnerte er sich auch wieder daran, dass Smiley ihn ursprünglich zum Zocken eingeladen hatte. Smiley hatte vorgeschlagen, über Twitch zu streamen, doch das war Luke neu und unangenehm. Er war noch nie irgendwo live gegangen. Zudem war er sich nicht sicher, ob er überhaupt etwas zu sagen hatte, während ihm Menschen im Internet dabei zusahen. Zumindest war er Simleys Bitte nachgekommen, ein anständiges Headset einzupacken. Daraus hatte er zwei gemacht, da er sich nicht sicher gewesen war, welches bequemer zu tragen war. Sein eigenes hatte er ebenfalls dabei. Dieses mochte sein Bruder jedoch nicht, da es ihn nach einer Weile an den Ohren drückte, weshalb er für Smiley gleich eine Auswahl besorgt hatte.

 

Die beiden Verpackungen der neuen Geräte stellte er neben die Tastatur, an der Smiley saß. Der Gastgeber nickte dankbar, war jedoch in das Setup des Splitscreens vertieft. Um ihn nicht zu stören, zog sich Luke auf die Couch zurück und zog sein eigenes Headset aus der Tasche. Fasziniert stellte Luke erneut fest, dass ein sorgfältig aufgewickeltes Kabel binnen weniger Minuten zu einem Gordischen Knoten mutieren konnte. Ihm blieb nichts anderes übrig, als mit dem Entwickeln zu beginnen.

 

„Damit klappt es vielleicht besser.“ Smiley schob sich in sein Blickfeld und tippte langsam auf eines der neuen Headsets. „Außer, du willst das Entwirren streamen. Nachdem es wahrscheinlich allen so geht, wäre das zur Abwechslung einmal ein Stream, den jeder sehen will.“

 

„Mh,“ brummte Luke bloß. Resignierend warf er sein altes Headset in seine Tasche zurück, ehe er aufstand. „Kaffee.“

 

„Könnte man ebenfalls streamen,“ nickte Smiley und bewegte sich zurück zu seinem PC. „In der Thermoskanne. Becher daneben.“

 

„Danke.“ Luke trat, den großen Bildschirm musternd, auf den zweiten Computer zu. „Diablo also?“

 

„Kein Blizzard-Fan?“ Smiley sah bloß kurz von seinem Screen auf. „Lieber LOL?“

 

„Lieber WOW,“ erklärte Luke im Niedersitzen. „Aber Diablo tut’s auch. Bin nur aus der Übung.“

 

„Wir hätten die Unterhaltung bereits streamen sollen,“ scherzte Smiley.

 

„Was spielst du?“, fragte Luke, während er den Stuhl zurechtrückte.

 

„Was spielst du?“, erwiderte Smiley die Frage.

 

„Eigentlich Zauberer,“ erklärte Luke, „aber wenn wir zusammen spielen wollen, würde ich fast WD machen. Außer, du spielst das lieber. Oder …“

 

„Oder was?“, wollte Smiley überrascht wissen.

 

„Sag‘ jetzt nicht, du sielst DH.“ Luke verzog die Lippen. „Wir könnten das zwar retten, aber …“

 

 

„Ich bin Barbar,“ meinte Smiley sachlich, „sieht man mir das nicht an?“