Secrets: September


 

Band

1

 

Erscheinungsjahr

2016

 

Erhältlich als Taschenbuch bei

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Erhältlich als eBook bei

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Quarterback, Mädchenschwarm und Sonnenschein, all diese Eigenschaften hasst Luke an seinem älteren Bruder Thomas, und hält ihm das bei jeder sich ihm bietenden Gelegenheit auch vor. Denn Luke ist nichts davon! Er ist ein Streber, ein Freak, die Dunkelheit in Person. Lachen existiert in seiner Welt nicht, meint er. Seit dem Sommer hat sich dies jedoch geändert. Seit dem Sommer wird er durch sein Geheimnis abgelenkt. Und durch dieses Geheimnis ist das Leben plötzlich viel weniger anstrengend und mühsam - selbst Thomas scheint ab und an okay zu sein. Solange der Quarterback Lukes Geheimnis nicht anlächelt...



Leseprobe


Freitag, 19. September 2014

 

Seit Tagen wurde in der Schule über nichts anderes mehr gesprochen, als die alljährliche Lagerfeuerparty. Jedes Jahr wurde sie, abgeschnitten von der Öffentlichkeit auf dem Privatstrand am Grundstück der Lees abgehalten. Es war schon zur Tradition geworden. Vor allem die Feier vor zwei Jahren hatte Legendenstatus erreicht. Durch den starken Wind hatten sich einige Funken ausgebreitet und das abseits gelagerte und für Mitternacht vorbereitete Feuerwerk frühzeitig entfacht. Es war noch hell gewesen, und so gut wie niemand hatte die Explosionen im orangeblauen Sonnenuntergangshimmel gesehen.

 

 

Für Luke hatte dieser Tag noch eine weitere Bedeutung. Wehmütig dachte er bei den Erzählungen immer wieder an den einen, dummen, dämlichen Fehler zurück, den er begangen, und sich daraufhin so viel eingebildet hatte: Sasha hatte ihn geküsst. Heimlich, hinter einigen Felsen versteckt, wo sie niemand beobachten konnte. Sie hatte ihm gesagt, sie fände ihn niedlich, und er war darauf hereingefallen, wie sich später herausgestellt hatte.

 

 

Blöde Kuh! Er warf ihr einen missachtenden Blick zu, als sie an dem Grüppchen vorbeischlenderte, bei welchem er saß. Weit von den anderen entfernt, um in Ruhe nichts zu tun. Sasha nickte zwar freundlich, doch er wandte sich sofort weg. Was hatte er ihr noch zu sagen? Mit einem verständnislosen Stirnrunzeln drehte sie ab, nachdem sie naserümpfend den Geruch um die Jungs wahrgenommen hatte, und sich durch Lukes Ignoranz bestimmt noch weniger willkommen geheißen fühlte. Ihre schnellen, jedoch unglaublich grazilen Schritte trugen sie zurück ans Feuer, wo eine Traube von Mädchen Thomas belagerte. Der stellte erst einmal in aller Seelenruhe seinen Gitarrenkoffer ab, den er wohl soeben aus dem Auto geholt hatte, bevor er im Kreis herum an den angebotenen Drinks schnüffelte, bis er sich für einen entschied. Whiskycola, ganz bestimmt. Luke kannte die Vorlieben seines Bruders zur Genüge, und er wusste, dass ihn das Getränk an manchen Tagen melancholisch, an anderen durchaus aggressiv machen konnte. Oder beides, was die schlimmste Mischung war.

 

 

„Rot,“ sagte er schließlich und widmete sich wieder der Runde. Sie alle waren Loser, er nahm sich da nicht aus. Einige konnte er nicht leiden, mit anderen konnte er sich zumindest unterhalten, und manchen musste er freundlich gegenüber treten. Kyle ‚McFatty‘ Stratton, zum Beispiel. Das Mathe- und Physikgenie der Schule. Er löste Aufgaben, bevor sie ihm gestellt wurden, und er gab Luke bereitwillig Nachhilfestunden, wenn er nicht gerade seine feuchten, kleinen Lippen an seiner Freundin Mary Jane kleben hatte. Mary Jane war kein Mensch. Sie war Kyles Bong. Doch der übergewichtige Junge bezeichnete sie als „sein Mädchen“. Wahrscheinlich, weil er noch nie eines gehabt hatte. Das war Luke ebenso egal, wie Kyles Äußeres. Bei ihm daheim durfte er sich zumindest gehenlassen; Kyles Mutter arbeitete in einem Nachtclub und war abends nie Zuhause. Natürlich war Kyle einsam, doch der hatte immerhin richtige Freunde, mit denen er gelegentlich etwas unternahm. Ohne Luke je einzuladen.

 

 

„Wie zum Teufel kommst du auf Rot, Mann?“, fragte Stan und stieß Luke mit dem Ellenbogen in die Rippen. „Hast du die Tussi schon jemals was Rotes tragen sehen? Ich bleib‘ bei violett.“

 

 

Oh ja, er hatte die Tussi schon einmal in roter Wäsche gesehen. Arizona hatte eine Vorliebe für seine Boxershorts entwickelt, in die sie gerne, inklusive seiner Shirts, schlüpfte, um nach dem Sex aus der Küche etwas zum Knabbern (vorwiegend Süßigkeiten, mit einem Schwerpunkt auf Schokolade) oder Getränke zu holen.

 

 

„Blau,“ sagte Kyle nun schon zum bestimmt fünften Mal. „So wie ihre Augen!“

 

 

„Ihre Augen!“, stöhnte Blake Robertson. „Da will ich auch mal tiefer reinschauen.“

 

 

Grinsend nahm Luke einen Schluck aus seinem Becher. Seit er das Gespräch auf Arizona gelenkt hatte, war seine Stimmung um einiges besser geworden, als er bei der Herfahrt noch angenommen hatte. Thomas war der Meinung gewesen, möglichst eintönigen Dubstep möglichst laut zu hören, um die drei mitfahrenden Damen möglichst „in Stimmung zu versetzen“. Augenrollend war er hinter Thomas‘ Sitz eingepfercht im Auto gehockt, die Knie fast bis zum Kinn angezogen, weil sein lieber Bruder ja Platz für seine abnormal langen Beine benötigte, und hatte die dreißig Minuten über die Küste beobachtete, an der sie entlang gefahren waren. Um ihn hatte sich ohnehin niemand gekümmert. Er war nur der merkwürdige kleine Bruder, der unbedingt auch dabei sein musste. Warum hatte er sich das überhaupt angetan?

 

 

Nun, in diesem Kreis von stinkenden, dämlichen Trotteln, die ihn zumindest akzeptierten, wusste er, warum er hier war. Was ihm nicht gefiel, jedoch unausweichlich schien, waren die sexistischen, hohlen und größtenteils niveaulosen Bemerkungen über Arizona, die beinahe jeder äußerte. Klar, sie war heiß, neu an der Schule und versteckte ihren Körper nicht gerade, doch manche Ausdrücke mussten einfach nicht sein. Was anderes, als zu schlucken blieb ihm aber übrig? Zumindest hielt er sich kommentarlos zurück.

 

 

„Pink oder blau,“ nickte Connor Jackson, von dem Luke jahrelang nicht gewusst hatte, welcher sein tatsächlicher Nachname war.

 

 

„Macht ihr lustiges Farbenraten?“ Baxter, der zweitgeborene der fünf Lee-Geschwister, hatte sich zu ihnen gesellt. Er war ein Wrack, nahm Drogen aller Art, ging auf Entzug, fing wieder von vorne an, hatte das College abgebrochen, lag seinen Eltern auf der Tasche, und vergeudete sein Leben. Ohne eine Einladung abzuwarten, sank er neben Kyle in den Sand und nahm ihm gleich den Joint aus der Hand, um einen tiefen Zug zu inhalieren.

 

 

„Wir haben eine Wette am Laufen,“ erklärte Stan. „Laufington meinte, welche Farbe Barbies Kleid haben würde, und wir nehmen noch Angebote an.“

 

 

„Was ist der Einsatz?“, fragte Baxter, als er langsam den Rauch aus dem Mund blies.

 

 

„Barbie anquatschen und in die Runde holen,“ antwortete Luke widerwillig. Den Spitznamen hatte er sich am zweiten oder dritten Schultag ausgedacht, weswegen er ihn auch verwendete; sogar Arizona gegenüber. Sie fand ihn lustig.

 

 

„Lahm,“ gähnte Baxter und blickte sich nach einem unbeaufsichtigten Drink um. Als er nichts in Reichweite fand, zog er einen Flachmann aus der Innentasche seiner quietschbunten Windjacke.

 

 

„Außerdem muss der Verlierer sie zu ‘nem Zug überreden,“ führte Stan weiter aus, „und sie küssen. Wenn er’s nicht schafft, muss er sich nackt ausziehen und ins Wasser springen – vor allen anderen.“

 

 

„Na, das klingt doch schon nach mehr Spaß!“ Genüsslich trank Baxter einen Schluck, ehe er sich nach hinten fallen ließ. „Ist Barbie denn scharf?“

 

 

„Jepp,“ nickte Kyle und wurde augenblicklich rot.

 

 

„Schweinebacke,“ grinste Baxter und schlug seinen Handrücken gegen Kyles Bein, „kein Grund sich zu schämen, wir sind unter uns.“ Luke biss sich auf die Lippe, als er die Beschimpfung hörte. Es stimmte schon, Kyle war fett, doch der Junkie musste ihn damit nicht auch noch verletzen. „Und du?“ Baxter richtete sich an ihn. „Lutscht du gerne an deiner Lippe rum, wie ein Baby?“ Er lachte dreckig. „Stellst dir vor, wie Barbies Zunge schmecken könnte? Oder ihre Muschi?“

 

 

„Laufington?“ Stan lachte leise. „Den interessiert mehr der Schwanz von Barbies kleinem Bruder.“

 

 

„Ach!“ Baxter zog die Augenbrauen hoch. „Du könntest meinem Brüderchen gefallen.“ Mit einem breiten Grinsen ließ er sich zur Seite fallen, um die anderen Anwesenden am Feuer zu beobachten. „Scheiße, find‘ ihn grad nicht, aber ich schick‘ ihn dir später vorbei, dann kannst du ihm vorab zum Geburtstag gratulieren. Hat er am Montag nämlich.“

 

 

„Danke, nicht nötig.“ Luke war ein wenig angewidert. Nicht von der Vorstellung einem Mann näher zu kommen (worüber er, trotz der Gerüchte um ihn, noch nie wirklich nachgedacht hatte), sondern von dem kaputten Typen ihm gegenüber.

 

 

„Wie du meinst.“ Schulterzuckend positionierte sich Baxter wieder zurück, nahm einen weiteren Zug und gab den Joint dann an Luke ab. „Blau, sag‘ ich dann mal und steig‘ mit ein.“

 

 

Es fiel ihm schwer nicht allzu erkennbar vor Erleichterung aufzuatmen. Um sich zu beruhigen, rauchte er zwei Züge, bevor er den Jolly Stan überließ, den Kopf auf die Knie legte und zum Lagerfeuer hinüberblickte. Stimmen waren laut geworden, Mädchen gackerten und Musik begann die Luft zu füllen. I got this feeling on a summer day when you were gone…“ Jemand hatte endlich die Anlage zum Laufen gebracht. „I crashed my car into the bridge. I watched, I let it burn.“ Wie treffend, fand Luke und sah aufs Meer hinaus. Die Nacht zog herauf und am Horizont funkelten bereits ein paar Sterne.

 

 

„… verträumter Freak!“ Stans Ellenbogen traf ihn erneut hart in die Rippen.

 

 

„Was?“, zischte Luke und drehte sich um.

 

 

„Barbie und die Kens sind da!“ Stan nickte zu der Düne, auf welcher Arizona, Sebastian und Jensen entlang spazierten. Wie auffällig waren die beiden eigentlich? Luke schüttelte den Kopf. Wenn die Jungs nicht aufpassten, würde ihr Geheimnis schneller auffliegen, als ihnen lieb war.

 

 

„Sieh’s ein, Laufington, du hast kein Gespür für Frauen,“ jubelte Timothy Samples, der ebenfalls auf blau getippt hatte.

 

 

Arizonas Kleid war natürlich blau. Schulterfrei, was man unter dem halblangen, himmelblauen Jäckchen jedoch nicht sehen konnte, wenn man es nicht wusste. Oben um ihre Brust gerafft und in hellen Tönen gehalten, wurde das ansonsten locker fließende Kleid unten immer dunkler, bis es an ihren Knöcheln beinahe schwarzblau aussah. Ein triumphierendes Grinsen wollte sich in sein Gesicht schleichen. So mimte er bloß den überraschten Verlierer und ließ den Kopf auf seine angewinkelten Knie sinken.

 

„Muss ich echt?,“ jammerte er gespielt frustriert. Einen Augenblick lang erlaubte er seinen Mundwinkeln dem Drang nachzugeben sich zu heben, bevor er mit gezwungen verzweifelter Mine wieder hochsah.

 

 

„Du musst!“, nickte Kyle, der es wohl kaum erwarten konnte Luke dabei zuzusehen, wie er kläglich scheiterte.

 

 

„Sie soll erst was trinken,“ meinte Luke und ließ seine Beine zu beiden Seiten auf die Decke sinken. Es bereitete ihm unglaublich viel Spaß den Jungs was vorzugaukeln. Diese ganze Wette war eigentlich Arizonas Idee gewesen. Sie war mit dem Vorschlag gekommen sich etwas auszudenken, um offiziell vor allen anderen einmal zu knutschen. Damit war er sofort einverstanden gewesen, und sie hatten zusammen diesen Plan ausgeheckt – auf ihrem Bett hockend, wie kleine Kinder kichernd und Schokolade naschend. An dem Tag hatte er auch herausgefunden, dass der Anblick von Arizonas schokoverschmierten Lippen ausreichte, um ihn geil werden zu lassen. Er schluckte. Offensichtlich genügte auch der Gedanke daran.

 

 

Rasch zog er die Knie wieder an und schlang die Arme darum. Arizona beeilte sich lieber mit den Begrüßungen und ihrem Rundgang, „um die Lage abzuchecken“. Er wollte gar nicht allzu genau wissen, wen sie sich aufzureißen versuchte, um mit Sebastian endlich auf 5:5 auszugleichen. Solange es nicht Thomas war. Nicht an diesem Strand! Dies lag weniger an seinem Bruder – damit, dass das Unvermeidbare früher oder später eintreten würde, hatte er sich nach dem Dinner mit den Brights und Dearings vor zwei Wochen abgefunden –, doch es war der Strand an sich, der ihn hadern ließ. Sein erstes Mal hatte im Sand stattgefunden. Begonnen zumindest, bis sie es sich auf einer Liege bequem gemacht hatten. Es war schön gewesen. Perfekt, in seiner Erinnerung.


Seufzend blickte er zurück in die Runde. Die Jungs waren in ein Gespräch über World of Warcraft verfallen und diskutierten ihre Pläne für das neue Addon, welches in genau zwei Monaten erscheinen sollte. Hoffentlich kamen sie nicht auf die Idee ihn zu fragen, ob er seine Blutelfen-Heilerin wieder aktivieren wollte.

 

 

Dafür hatte er keine Zeit. Außerdem würde er sich im Moment nicht jeden zweiten Abend zum Raiden freihalten. Obendrein hatte er schon ewig nicht mehr gespielt. Bestimmt seit einem halben Jahr, oder so. Bis er sich da wieder zurechtfand, um sinnlos zu farmen, wenn danach wieder alles von vorne losging. Bis er den Maximal-Level erreicht hatte…

 

Er zog eine Schnute. War ja klar, dass ihn der Ehrgeiz nur vom Zuhören packen würde. Doch er schwieg dazu. Vielleicht würde er in einem Monat wieder mal reinschauen. Würde es ihm überhaupt Spaß machen? Warum dachte er eigentlich darüber nach? Hatte er schon so viel geraucht? Sein Becher war ebenfalls leer.